Medizinische Fachinformationen zur Haltungsasymmetrie im Säuglingsalter
Dieser Artikel richtet sich in erster Linie an medizinische Fachkräfte.
Wenn Sie sich jedoch als Eltern umfassend informieren möchten und tiefer verstehen wollen, wie Sie Ihrem Kind mit einer Haltungsasymmetrie helfen können, dann sind Sie hier auch genau richtig.
Artikelübersicht
- Wie erkennen ich einer Haltungsasymmetrie?
- Wie beurteile ich die Kopfform eines Säuglings?
- Wie kann sich der Schädel verformen?
- Wie hängen Plötzlicher Kindstod und Plagiocephalus zusammen?
- Was sind mögliche medizinische Folgen des Plagiocephalus?
- Wann und wie darf ein Kind auf der Seite schlafen?
- Was kann ich als medizinische Fachkraft tun?
- Wie kann ich Eltern helfen?
- Welche Bedeutung hat hierbei die neuronale Plastizität?
- Was ist das Besondere an der Seitenlagerungsschiene von VARILAG?
- Was ist wann im ersten Lebensjahr zu tun?
Als medizinische Fachkraft, Hebamme, als Kinderärztin oder Kinderarzt haben Sie die Möglichkeit, Haltungsasymmetrien im Säuglingsalter früh zu erkennen und eine sinnvolle Therapie einzuleiten.
Wir möchten Sie unterstützen
- Haltungsasymmetrien zu erkennen und
- die Kopfform richtig zu beurteilen.
Desweiteren stellen wir fundierte Hintergrundinformationen zu Kopfverformungen, der Diagnose Plagiocephalus und möglichen Therapien zur Verfügung.
In diesem kurzen Erklärvideo zeigen wir das Wichtigste zu Ursachen, Folgen und Korrekturmöglichkeiten bei Kopfverformungen im Säuglingsalter.
Erkennen einer Haltungsasymmetrie
Der Körper ist meist zu einer Seite gedreht, der Oberkörper gebogen, der Kopf überstreckt. Ein Arm ist oft angewinkelt, der andere ausgestreckt.
Es lässt sich eine eingeschränkte Rotationsfähigkeit des Kopfes sowohl in Bauch- wie in Rückenlage feststellen.
Eltern berichten zudem häufig von langen Schreiphasen und großer Unruhe ihrer Säuglinge in Kombination mit Stillschwierigkeiten und eventueller Trinkschwäche.
Wie beurteile ich die Kopfform?
Ein Plagiocephalus ist ein unsymmetrisch verschobener Schädel. Sie erkennen ihn, wenn Sie von oben auf den Schädel sehen. Ist nun ein Ohr zur Nase hin verschoben, ist auch die dortige Hinterkopfseite abgeflacht.
Wie kann sich der Schädel verformen?
Anatomie des Schädels
Die Schädelknochen und besonders die Knorpelfugen (Sutura) zwischen den Knochen sind im ersten Lebensjahr noch weich.
Am bekanntesten ist die große Fontanelle.
Die einzelnen Knochen können sich dadurch mehrere Millimeter übereinander schieben. Der Schädel kann sich also während der Geburt an den engen Geburtskanal anpassen.
Mögliche Verschiebungen durch den Druck der Wehen bilden sich meist innerhalb weniger Tage wieder zurück.
Nach 6-8 Wochen spricht man jedoch von einer Plagiozephalie, die je nach Ausprägungsgrad behandelt werden sollte. Differenzialdiagnostisch unterscheidet man zwei Arten von Plagiocephalus. So kann es sich um einen synostotisch bedingten Plagiocephalus handeln, der sich schon vor der Geburt ausgebildet hat. Er ist daran erkennbar, dass entweder das Ohr auf der abgeflachten Seite nach hinten gezogen ist oder beide Ohren gerade zueinander, aber nicht nach vorne verschoben sind.
Rückenlage als Empfehlungsmaßnahme zur Prävention des plötzlichen Kindstodes
Sicherlich geben auch Sie die Empfehlungen weiter, Säuglinge im ersten Lebensjahr zum Schlafen auf den Rücken zu legen. Hiermit wird eine der wichtigsten Ursachen für den plötzlichen Kindstod vermieden, nämlich die Bauchlage.
Seit 1991 folgen Kinderärzte und Hebammen dieser Empfehlung bei ihrer Betreuung der verantwortlichen Eltern. Tatsächlich ist seither die Todesrate durch den plötzlichen Kindstod signifikant gesunken. In Deutschland von jährlich 1.200 auf unter 300.
Welchen Nachteil hat die Rückenlage?
Einer der großen Nachteile der Rückenlage ist die einseitige Belastung des Hinterkopfes.
Viele Säuglinge entwickeln dabei eine Lieblingsseite, zu der sie – auf dem Rücken liegend – das Köpfchen drehen.
Man spricht hier von einer Positions- bzw. Rotationspräferenz des Kopfes oder auch von einer Prädilektionshaltung.
Dadurch wird der Schädel aber peu à peu auf einer Seite abgeflacht, da die Knorpelfugen zwischen den Schädelknochen noch immer zu weich sind, um dem Druck standzuhalten.
Daher gilt die Rückenlage als Hauptursache für den lagebedingten Plagiocephalus.
Muss der Plagiocephalus behandelt werden?
Betrachtet man den verschobenen Schädel von allen Seiten, so wird deutlich, dass nicht nur der Hinterkopf davon betroffen ist, sondern auch die Ohrachse und die Kiefergelenke. Hinzu kommen die Halswirbelsäule und das Foramen jugulare, da die Schädelbasis als Bindeglied zur Wirbelsäule ebenfalls beteiligt ist.
In Zusammenhang mit den primitiven Bewegungsmustern, Stellreaktionen und Reflexen des Säuglings in den ersten Lebenswochen ergibt sich eine komplexe Situation, die langfristig zu asymmetrisch determinierten Körperstrukturen führen kann.
Die einseitige Stimulierung der Muskeln und Nervenbahnen, die dadurch entsteht, beeinflusst u. A. die Reifung des zentralen Nervensystems (ZNS) nachhaltig, sodass laut den Ergebnissen aus der Literatur diese Folgen auftreten können:
- schiefe Gesichtszüge
- motorische Defizite
- skoliotische Fehlhaltungen
- mangelhafte Vertikalisierung
- Gleichgewichtsstörungen
- Kiefergelenksfehlstellungen
- Zahnfehlstellungen
- Trinkschwäche
- visuelle Verarbeitungsstörungen
- auditive Verarbeitungsstörungen
- kognitive Einschränkungen
Diese Aufzählung zeigt, dass ein Plagiocephalus verhindert werden sollte.
Ist er bereits aufgetreten, sollte er behandelt werden.
Alternative Liegeposition
Wenn die Bauchlage wegen des plötzlichen Kindstodes vermieden werden soll, die Rückenlage aber wegen des Plagiocephalus, stellt sich die Frage, ob die Seitenlage eine empfehlenswerte Alternative darstellt.
Die Seitenlage hat den Vorteil der Variabilität. Jedoch besteht das Risiko, dass sich der Säugling von alleine auf den Bauch oder auf den Rücken rollt. So werden Säuglinge in den ersten drei Lebensmonaten zwar oft mit Handtuchrollen oder Ähnlichem abgestützt, doch sie legen sich oftmals wieder auf den Rücken, in ihre Lieblingsposition.
Mit zunehmendem Alter und wachsender Kraft beherrschen die Säuglinge das Drehen von der Rücken- in die Bauchlage und wieder zurück. Spätestens ab dem dritten Lebensmonat soll daher laut Empfehlung der American Academy of Pediatrics (AAP) nichts mehr in ihrem Bettchen liegen, was ihnen vor das Gesicht geraten und zu Atemnot führen kann.
Die Seitenlage ist daher einerseits eine gute Lösung hinsichtlich plötzlichem Kindstod und Plagiocephalus. Sie kann aber nur empfohlen werden, wenn sie so abgesichert wird, dass sich das Baby nicht mehr spontan drehen kann.
Was kann ich als Hebamme, als Kinderarzt/-ärztin oder als Therapeut tun?
Bitte überprüfen Sie die Haltungskompetenz des Säuglings mithilfe der orientierenden Kopfdrehung und der sog. Seitkipp-Reaktion.
Im Seitkipptest wird ein gesunder Säugling bestrebt sein, sich gegen die Schwerkraft aufzurichten und die Augen horizontal einzustellen.
Als nächstes wird das motorische Bewegungsverhalten in Rücken- und Bauchlage untersucht.
Beurteilt wird bei orientierender Kopfdrehung im Raum
- die Konvexität des Rumpfes in Rücken- und Bauchlage
- sowie die zervikale Rotationsfähigkeit.
Legen Sie dazu bitte den nackten Säugling auf dem Rücken gerade vor sich und regen ihn dazu an, zur Seite zu schauen. Nun sollte der Kopf zu beiden Seiten endgradig rotiert werden können, wobei sich der Rumpf c-förmig verbiegt (Die Konvexität der Wirbelsäule wird auf der Gesicht zugewandten erwartet). Ist dies auf einer Seite nicht der Fall, liegt bereits ein Aspekt einer Haltungsasymmetrie vor.
Drehen Sie den Säugling nun auf den Bauch und regen ihn dazu an, zur Seite zu schauen. Der Kopf sollte zu beiden Seiten endgradig rotiert werden können, wobei sich der Rumpf c-förmig verbiegt (Die Konvexität der Wirbelsäule wird auf der Gesicht abgewandten erwartet). Ist dies auf einer Seite nicht der Fall, liegt bereits ein Aspekt einer Haltungsasymmetrie vor.
- die Konvexität des Rumpfes
- und die herabgesetzte zervikale Rotation.
Um mit diesen beiden Kriterien die Asymmetrie sowie ihren Ausprägungsgrad in der Bauch- als auch der Rückenlage zu beschreiben und zu quantifizieren, verwendeten sie eine Asymmetrieskala. Philippi, H. et al.: Patterns of postural asymmetry in infants – a standardized videobased analysis. European journal of pediatrics, 2006 (3), 158-164
Welche Möglichkeiten haben die Eltern?
Wenn Sie eine lagerungsbedingte Kopfverformung erkennen, ist es wichtig, die Eltern aktiv in die Behandlung einzubeziehen. Zunächst können die Eltern lernen, die Kopfform ihres Babys zu beurteilen und die Haltungsasymmetrie wahrzunehmen.
Beurteilen der Kopfform
Üben Sie zunächst mit den Eltern, wie sie die Kopfform ihres Säuglings beurteilen können.
- Blick von oben auf den Schädel
- Ist ein Ohr näher an der Nase als das andere?
Hierbei sollten Sie auch Hintergrundinformationen mitgeben.
Warum, wie stark und wie lange kann sich der Schädel verformen?
- aufgrund der weichen Knorpelfugen
- erfahrungsgemäß um etwa 1mm pro Woche
- bis zum 8./9. Lebensmonat etc.
Mit welchen langfristigen Auswirkungen ist zu rechnen?
- Störung des Gleichgewichtssinnes
- Fehlstellung der Zähne
- skoliotische Fehlhaltung etc.
Stimulieren des Säuglings
Wenn der Säugling wach ist, ist es leicht möglich, ihn durch das Handling so zu stimulieren, dass die vernachlässigte Seite wieder ausgeglichen wird.
Zeigen Sie den Eltern, wie sie ihren Säugling so tragen, dass er sich in die Richtung drehen muss, die vernachlässigt ist.
Und sich in die Richtung neigen muss, um die schwache Rumpfseite zu kräftigen.
Bauchlagentraining
Im Wachzustand können außerdem der Gleichgewichtssinn und die Rückenmuskulatur trainiert werden, wenn der Säugling 5-mal am Tag für jeweils bis zu fünf Minuten auf den Bauch gelegt wird. (Formel des Bauchlagentrainings: 5 x 5)
Hierzu sollte er optisch angeregt werden, damit er in die gewünschte Richtung schaut.
Hilfreich ist es auch, ihn bäuchlings auf einen Wasserball zu legen. Dann lernt er selbständig das Gewicht zu verlagern.
Ziel ist es, nicht nur auf die Muskulatur der Halswirbelsäule oder auf die Gelenke einzuwirken, sondern insgesamt das zentrale Nervensystem (ZNS) anzuregen.
Exkurs: Synaptogenese
Im Säuglingsalter entwickeln sich die basalen Muster des zentralen Nervensystems kontinuierlich weiter. Abhängig davon, welche Reize von außen aufgenommen werden. Willkürliche Bewegung durch Reize und Emotionen werden durch den limbischen Cortex gesteuert. Zusätzliche Informationen fließen in diesen Verarbeitungsprozess aus den Gleichgewichtsorganen und Propriozeptoren ein.
Sich verfestigende Bewegungsmuster wirken sich auf die Bildung und Reifung neuronaler Muster aus.
Hierbei werden die Synapsen zwischen den Nervenenden im Gehirn geschlossen, man spricht von der Synaptogenese. Bildhaft gesprochen werden hierbei als Feldweg angelegte Informationswege zu Autobahnen ausgetreten. Diese lassen sich nur langsam wieder ‘umbauen’. Fehlerhafte Informationen wirken sich daher langfristig aus. Bei einer Haltungsasymmetrie entstehen eingeschränkte Bewegungsmuster, die die Synapsenbildung einseitig stimulieren.
Da sich das Gehirn aber ein Leben lang verändert (Stichwort: Neuroplastizität), kann beispielsweise das Bauchlagentraining dazu eingesetzt werden, die vernachlässigte Körperseite wieder stärker wahrzunehmen und zu nutzen. Durch diese Therapieform wird schließlich eine motorische Verhaltensänderung möglich.
Besprechen der Liegeposition im Schlaf
Bieten Sie die gesicherte Seitenlage als alternative Liegeposition an.
Vorteile der Seitenlage nennen:
- variable Lagerung möglich
- wirkt dem Plagiozephalus entgegen
- ist auch präventiv einsetzbar
- Schwerkraft hilft dem Kopf, wieder symmetrisch zu werden
- Prävention gegen den plötzlichen Kindstod
Es ist Folgendes zu beachten:
Um die symmetrische Kopfform zu erhalten, muss der Schädel zu 70% der Liegezeit auf der prominenten Seite liegen (sog. 70/30-Regel). Mit der Lagerungstherapie ist wachstumsbedingt eine Korrektur um 1 mm pro Woche zwischen dem 4. und dem 8. Lebensmonat wahrscheinlich.
Erläutern Sie nachdrücklich, dass die Bauchlage im ersten Lebensjahr nur im Beisein der Eltern erfolgen sollte. Dies gilt als Prävention gegen den plötzlichen Kindstod.
Zeigen Sie, wie der Säugling gesichert werden kann, damit er weder auf den Rücken rollt und der Schädel wieder an der falschen Stelle belastet wird, noch auf den Bauch.
Worin unterscheidet sich das Lagerungskissen von VARILAG – die Seitenlagerungsschiene – von anderen Produkten für Babys dieser Art?
Das Lagerungskissen von VARILAG wurde eigens entwickelt, da es bisher kein Produkt gibt, in dem Eltern ihre Babys ohne Bedenken schlafen lassen können.
Die marktüblichen Produkte sind Kissen (sog. Lochkissen), die eine breitere Auflagefläche für den Hinterkopf bieten. Sie verhindern ein Abflachen des Schädels, nicht aber ein Schief werden. Außerdem können die Babys davon abrutschen, sodass die Wirkung gänzlich verfehlt wird.
Außerdem gibt es Lagerungskissen, die ein Drehen des Säuglings nicht verhindern können und für Säuglinge ab der 13. Lebenswoche nicht zugelassen sind.
Nur die Seitenlagerungsschiene von VARILAG, das besondere Baby Lagerungskissen ist stabil genug, um reell zu stützen, und verfügt über einen Gurt, um das Baby zuverlässig in der gewünschten Position zu halten. Zusätzlich vermittelt er ein Gefühl der Sicherheit, was die Babys ruhiger schlafen lässt.
Zusammenfassung
Ein Plagiocephalus ist aufgrund seiner weitreichenden Auswirkungen nicht zu unterschätzen.
Daher sollte eine Beurteilung von Körperhaltung und Schädelform in den ersten Lebensmonaten eines Säuglings standardmäßig erfolgen.
Im Falle eines vermuteten Plagiocephalus sollte den Eltern empfohlen werden, einen Arzt oder Therapeuten zu konsultieren.
Zur Behandlung von Kopfverformungen gibt es verschiedene Therapiemöglichkeiten. Hierzu gehört die seitliche Lagerung. Sie reicht zwar alleine nicht aus, hält aber den gewonnenen Status quo aufrecht und nutzt die Schwerkraft zur Rückbildung der Kopfverformung. Sie ist daher eine wesentliche Unterstützung zum Bauchlagentraining, richtigen Handling und dem Einwirken des Therapeuten.
Die gesicherte seitliche Lagerung kann auch prophylaktisch erfolgen, wenn sie variabel und dynamisch eingesetzt wird.
Folgende Zeitachse stellt eine Empfehlung für eine stadiengerechte Intervention dar.
- In den ersten 12 Lebenswochen: Wechsellagerung mit Handtuchrollen. Beobachten der Kopf- und Rumpfsymmetrie.
- 3. bis Ende 7. Lebensmonat: Lagerungstherapie in gesicherter Seitenlage
- ab dem 8. Lebensmonat: gegebenenfalls Helmtherapie
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